7. Oktober 2010
Nebenan im Wavetank ist vorgestern unser neuntes Geplauder erschienen. In the heat of the night wagte ich ein Entree mittels eines Luhmann´schen Bonmots:
Gegen Komplexität kann man nicht protestieren.
Nice. Wer den Humor mitbekommt, darf sich abrollen. Für mich und die hierorts manifesten Blogthemen interessant war allerdings eine Stelle 2 Seiten vorher (Gesellschaft der Gesellschaft, S. 857):
Zur Themenerzeugung eignen sich spezifische Formen, und zwei von ihnen haben, weil sehr allgemein, besondere Prominenz erreicht. Die eine ist die Sonde der internen Gleichheit, die, wenn in die Gesellschaft eingeführt, Ungleichheiten sichtbar macht. Die andere ist die Sonde des externen Gleichgewichts, die, wenn eingeführt, die gesamte Gesellschaft als im ökologischen Ungleichgewicht erweist. Beides sind utopische Formen, denn Ungleicheit und Ungleichgewichtigkeit ist gerade das, was ein System auszeichnet.
Mist. Genau da liegt der Pfefferhase. Ein System ist eben immer nur ein System, wenn intern als auch extern Ungleichgewichte existieren, ansonsten man – wie Hombre Bruysten richtig einwirft – ein warmes Gas hat, ohne die Möglichkeiten zur Entwicklung, gar Evolution, die jeder Gradient anbietet. Die verschiedensten sozialen, politischen und technologischen Utopien lassen sich leicht entlang dieses Rasters von internem und/oder externem Ungleichgewicht sortieren.
Was bieten auf diesem Hintergrund technologische Utopien? Im Gegensatz zu sozialen und politischen Utopien, deren Heilsversprechen im Ausgleich systemischer Ungleichgewichte liegt, bieten technologische Utopien genau das Gegenteil: bis ins Extrem (Computronium) gesteigerte Ungleichgewichte und Komplexität. Da wo die „Kosten“ zB in Form von gesellschaftlicher Inequality (zB Gini-Index) verschwiegen werden, wie im Falle Kurzweils, schlägt die technologische Utopie notwendigerweise in tumbe Ideologie um.
Dennoch sehe ich persönlich unter den herrschenden Verhältnissen immer noch keine Alternative zu einer Beschleunigung der Beschleunigung. Jede (politische) Vermittlung zwischen diesen Polen der technologischen, extremen Ungleichverteilung, Komplexität und evolutionären Dynamik und den Utopien gesellschaftlicher Gleichverteilung trägt im Herzen die Sehnsucht nach dem Kältetod, und jede Bejahung extremer, technologischer Utopien muss sich auf der anderen Seite die Frage: Für wen? gefallen lassen.
Diese beiden Pole und ihre vielfältigen ideologischen Fallen sind das Signum unserer menscheitsgeschichtlichen Übergangsphase. Sag ich jetzt mal einfach so.