Programm 2

Nach Adorno sollten philosophische Texte immer gleich weit entfernt sein von ihrem Zentrum. Das Zentrum ist für mich die Spannung zwischen Phäno- und Genotyp, die im eschatologischen Konzept der technologischen Singularität beendet oder begonnen wird. Wer die Wirkung dieser Spannung nicht in diesem Moment fühlt wird lediglich faktische Texte (Hausaufgaben) produzieren oder Domains mit den entsprechenden Keywords bunkern. Eine Kugelgleichung a la Tipler für die mögliche Expansion der Menschheit aufzuführen ist keine Deutung, keine „Esoterik“. Das ist Hausaufgaben, brav, basic, phantasielose Exoterik, wird aber genauso immer weniger reichen, wie der 100 000. Text über eine Nockenwelle.

Beschleunigtes technologisches Fortschreiten ist eben nicht nur eine vermehrte Ansammlung von Transistoren, sondern auch eine inflationäre Abwertung von Themen, Texten, Stilen. Von Arten zu reden, zu schöpfen, kreativ zu sein. Epigonen produzieren den 3 452., manieristischen Text zur Singularität. Gleiches gilt für die zelebrierte Subjektivität in vielen Blogtexten, die vorgeben „nur eine gute Geschichte“ zu erzählen. Die Autoren sind schon vor Jahren im Knie der Mooreschen Kurve verdurstet.

Das Risiko, sich der Hermeneutik dieses Fragenkomplexes zu stellen, muss in der Person und somit im Stil vereinigt werden. Stil zu thematisieren oder abzulehnen behauptet immer implizit einen Anspruch auf eine normierte Weltsicht reklamieren zu können. Wer im Herzen Technokrat ist, kann Technologie zwar erklären, aber nie deuten.

Weil futuristische Themen jedoch weder veri- noch falszifizierbar sind und somit im Kern nicht wissenschaftlich sein können, sind sie im weitesten Sinne philosophisch. Wer das übersieht, endet als Horx- oder gar Popcorn-Variante mit je eigenem Zeithorizont und Trefferquote.

11 Gedanken zu „Programm 2“

  1. Mir fällt gerade ein, vor ein paar Jahren hat mein Dozent Martin Warnke eine Entwicklung der Computertechnik beschrieben, die vielleicht der Idee der Singularität nahe kommt: Das Internet ermögliche Emergenz durch Kontingenz:
    Er zeichnet darin die Entwicklung des Computers bis in die Jetztzeit nach und unterteilt sie in drei Phasen: „Synthese, Mimesis, Emergenz“, wobei die letzte, die emergente, den Computer durch eben das erweitert, was man als „Kontingenz“ bezeichnet, eine Eigenschaft also, die der Natur des Computer an sich ja widerspricht, die aber eben durch die Vernetzung von Menschen hinter diesen Computern gewährleistet wird.
    http://kulturinformatik.uni-lueneburg.de/warnke/SynMimEmerg.pdf

  2. „Faktische Texte“ und deutende Texte.
    Zum Themenkomplex der Singularität können wir nur spekulieren. Die Fakten folgen später, unabhängig von der „Phantasie“ des Beobachters. Alles ist ein Resultat der interpretierten und gedeuteten Vergangenheit der menschlichen Zivilisation oder möglicherweise noch jenseits davon. Man kann nicht über die Zukunft schreiben, ohne zu deuten. Jeder mag seinen Schwerpunkt in diesem Zusammenhang setzen – der eine auf Zahlen, Indikatoren und der Suche nach Prinzipien, der andere in von Rhetorik und Metaphern verpackter subjektiver Metaphysik. Die persönliche Konzentration auf „Fakten“ bedeutet nicht, die Ausmaße des Problems nicht vollständig zu erfassen. Es ist viel mehr das Ergebnis einer Abwägung der Aspekte des Problems unter dem eigenen Bewertungsmaßstab (der nicht zwangsweise Werte wie „Phantasie“ besitzen muss) und der Festlegung auf diejenigen, die den größen Gewinn an relevanten Erkenntnissen liefern. Es lässt sich viel über den tieferen Sinn von allem nachdenken – aber mit welchem fundierten Erkenntnisgewinn? Phantasie lässt uns nicht die Zukunft vorhersagen. Die Extrapolation historischer Trends über die Gegenwart hinaus schon eher. Bezeichne diese Extrapolationen ruhig als Grundlagen, aber es ist der Kern des Gedankens der Singularität.

  3. Richtig.

    „Es lässt sich viel über den tieferen Sinn von allem nachdenken – aber mit welchem fundierten Erkenntnisgewinn?“

    Mein persönlicher Erkenntnisgewinn liegt in einigen dieser Texte. Die Komplexität muss aber Schritt halten mit dem Erkannten. Vereinfachung aus pädagogischen Gründen kommt da für mich nicht in Frage. Ausser gegen a Göld. 😉

  4. Mir geht es auch nicht um Vereinfachungen die den Erkenntnisgewinn beschneiden. Mir geht es nur darum, nicht in den Raum reiner Spekulation abzudriften. Mir sind fundierte „Texte über die Nockenwelle“ lieber als die metaphysische Interpretation der Nockenwelche als solches.

  5. Wobei diese spezielle Nockenwelle sich während der Betrachtung verändert und die Betrachter rückwirkend ebenfalls verändert. Was für den Betrachter eine besondere stilistische Herausforderung darstellen KANN. Schnappschüsse sind natürlich immer willkommen.

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