Zu schön um wahr zu sein. Auch globale Debatten haben einen Rhythmus und ein Timing. Unter den gegebenen Dynamiken gerade der Blogoshäre kann nur nicht jeder eine Debatte lostreten. Thematisieren schon, aber was nutzt es wenn ich auf den iterativen Sog wirklichkeitsgenerierender Aufmerksamkeitsprozesse in Blogs hinweise? Tim O´Reilly drückt es so aus:
There are feedback effects in what we pay attention to, so that certain things get valued more and more highly.
Ein weiterer Punkt den O´Reilly anspricht, ist auch schon zwischen mir und einem elektrischen Herrn hin- und hergeschoben worden:
…once everyone „knows“ the same stuff, there is no competitive advantage to be had from learning it, eventually that over-known area loses its importance.
Jeder liest die gleichen Blogs, Scoble hat 6000 „Freunde“, Bazzillionen „Followers“ und weiss wahrscheinlich trotzdem nicht was da gerade in der Nanotechnologie knallt. So wie sich diese Dynamiken gerade in den letzten 2 Jahren ungebremst entfalten, wird das ganze System disfunktional. Nicht dysfunktional. Aber es führt bei vielen Teilnehmern zur Informationserblindung. Was mich zu einer weiteren hellen Bemerkung von Herrn O´Reilly führt:
The current rage on Wall Street is for „dark pools of liquidity,“ where trading patterns are invisible even to the participants. What does this tell us about the future of Web 2.0? It tells us that the pendulum is going to swing from public data to private.
Ha! Strike! Ich kann da nur ganz dramatisch auf mein Diagramm Macht – Aufmerksamkeit – Vermögen hinweisen. Ist jetzt ein schlappes Jahr alt, hat wunderbare Kommentare (0) und ist nun wahrhaftig gut abgehangen. (Ein paar Tage vorher hatte ich das damals beim Bier einem Herrn mit sonem lila Irokesenschnitt ungefährt skizziert, aber der kuckte nur wie jemand der gerade Gnade walten liess.)
Diese Drift zu privaten Daten, die O´Reilly da orakelt, wird in meiner Skizze mit den beiden Sphären Macht und Vermögen erfasst. Wenig Aufmerksamkeit (private Daten) und ein erstrebtes Maximum aus Macht und Vermögen. Eigentlich ist das heute schon der Fall. Die Superreichen auf Terra leisten sich schon lange maximale Unsichtbarkeit. Alle die durch die Gegend rennen und offenherzig ihre Daten ach so sozial versprühen gestehen damit eingentlich nur indirekt ihre gesellschaftliche Irrelevanz ein und hoffen das aus Aufmerksamkeit mal Macht, vielleicht gar Vermögen wird.
Ich stimme O´Reilly zu, das das evolutionäre Pendel wieder zu geschlosseneren Datensystemen hin ausschlagen wird, denn die Dynamiken der momentanen Systeme sind einfach disfunktional bis albern. Im Falle von Blogs und dem technisch installierten Druck zum Mittelmass per Google oder Digg-artigen Mechanismen liegt es wohl – wie jemand in den durchweg lesenswerten Kommentaren bemerkt – an der Friktionslosigkeit des gesamten Systems. Diese Reibungslosigkeit führt in kürzester Zeit zu Phänomen, die dem von Eldredge und Gould postuliertem Punktualismus ähneln.
Wie man da persönlich rauskommt? Hm. Als erstes alles wegclicken was mit Facebook, iPod, Twitter etc zu tun hat. Überhaupt alles was mit Geschäftsmodellen, die bloss weitere serielle Kanäle verkaufen wollen zu tun hat. Dann mal was über synthetische Biologie lesen, Greg Venter, Longivity-Forschung, künstlicher Intelligenz und Accelerando von Charles Stross. Aufmerksamkeitshygiene besteht nicht nur in der Verweigerung von geistigem Fast Food, sondern auch in einfacher Abwechslung. Easy, hä?
Wichtiges Thema, guter Artikel. Den O’Reilly hatte ich übrigens glatt überlesen…
Aber stimmt das auch? Wird das Pendel tatsächlich wieder zurückschlagen in Richtung von mehr Privatheit und „geschlossenen Systemen“?
O’Reilly verrät sich da selbst, denn einerseits hat er keine eigenen Beispiele dafür und andererseits will er genau diese von seinen Lesern mitgeteilt bekommen! Wenn ich nun aber Belege für diesen Trend wüsste, warum sollte ich ihm diese (öffentlich) mitteilen, wo doch der Trend genau in Richtung mehr Privatheit zielt?
Meine Meinung: Das Rad wird sich nicht zurückdrehen lassen. Wo in der Vergangenheit der Wettbewerbsvorteil im Wissen selbst (und dem Zugang dazu) lag, verschiebt er sich jetzt in der „Wissensgesellschaft“ in den Bereich der Relevanz: Aus der unendlichen Menge an verfügbaren Wissen muss ich mir das Wichtige herausfiltern können. Vorteile hat künftig der, der gut „filtern“ kann.
Obs stimmt? In den Kommentaren bei oReilly finden sich einige Hinweise das da schon konkret in die Richtung gearbeitet wird.
Klar wird das Rad nicht zurückgedreht werden können. Aber für wen? Und dann fragt sich welchen Wert diese „offenen“ Daten noch haben werden. Informationstheoretisch ist es ja so, das eine Nachricht die überall vorhanden ist keinen Unterschied mehr macht. Der Unterschied, der an der Systemgrenze entsteht, die neg-entropische Differenz sozusagen, ist es allerdings die Wert generiert. Siehe Börse. Daten nur unter dem Gesichtspunkt der Privacy-Debatte zu sehen ist zu mager gedacht.
Ich sehe also eine verdammt transparente Welt für alle unten in der Fresskette, mit endlosen Debatten (Blogs/Foren etc) über Informationen die vom Tisch runterfallen – oder runtergefallen werden und mit immer close-teren Systemen und Informationsgrenzen je weiter man in der gesellschaftlichen Hirachieebene kommt.
Die Bedeutung von Wissensgesellschaft liegt ja nicht darin das jeder alles wissen soll, sondern das Wissen wertvoll ist. Und das wertvollste ist das Seltenste.
Die gesellschaftliche Welt ist nicht flach sondern besteht aus Subsystemen innerhalb derer die Funktion von Information unterschiedlich sein kann. Unten offen, Hosen runter, weiter oben: Schweigen. Wieder: Macht – Vermögen – Aufmerksamkeit.
Das durch die dysfunktionalen Tendenzen der Blogsphäre Informationen – zumindest jenseits des Longtail entwertet werden, ist für Leute wie O´Reilly eine geschäftliche Bedrohung. Deswegen grübeln die wohl auch darüber nach.
Das wären so einige kursorische Gedanken dazu…