Der Flickr-Clon Zooomer, über den bei Slashdot berichtet wurde, macht mich grübeln.
Wie man den dortigen Kommentaren entnehmen kann und mir meine Ahnung schon lange zuraunt sind derartige Ideen keine Grenzerfahrungen der Informatik. Es gibt da draussen global betrachtet – der einzigste Maßstab, der in diesen Belangen zählt – tausende 17-jährige die so etwas in 3 Monaten programmieren können. Der Unterschied liegt in der Aufmerksamkeit und den Finanzen die solchen Ideen schnell, sehr schnell zukommen müssen. Die Flaschenhälse Geld und Aufmerksamkeit bestimmen also ob Ideen genügend Dynamik aufbauen und ertragen können. Nicht der Grad der programmiertechnischen Schwierigkeit ist es, der eine massentaugliche Idee anziehend macht, sondern Geld und Aufmerksamkeit. Und dafür gibt es seit Ewigkeiten ein Wort: Marketing. Ob Gonzo, Guerilla, Viral, Postkarte: egal. Und darum erfasst mich eine komplexe Langeweile, was all diese Web 2.0 Projekte und Ideen betrifft. Denn was schliesslich aus dem Rauschen der Ideen und Projekte da draussen so weit herausgehoben wird (von wem?), das es wahrgenommen wird, werden soll, ist nicht das, was technologisch Grenzen testet oder gar für globale Belange wichtig wäre, nein, es sind durchgedrückte Kisten, die sogar im weiteren Verlauf der Entwicklung besseren Ideen im Wege stehen, und stehen sollen. (Wer würde schon nach dem tausendsten Foto für 5 Features mehr von Flickr nach Zooomer wechseln?)
Ich warte also weiterhin auf die wirklich beschleunigenden, den globalen IQ hebenden Projekte, vergleichbar 1/3 Internet (geschätzt).
Die Singularität wird nur so schnell oder langsam kommen, wie die humane Taktung es zuläßt. Kann der Prozeß die Menschen einholen, ohne sie zu überholen? Nein! Geld und Aufmerksamkeit wird immer dorthin fließen, wo humanes Interesse vermutet wird. Du bist der bottlenick …
Nur weil bestimmte Entwicklungen des sogenannten Web 2.0 nicht an der Oberfläche (er)wachsen heisst dies nicht, das es nicht auch diese unbekannten und sehr nützlichen Tools gibt. Wenn wir uns das Web 2.0 als eine bunte Speilzeugkiste mit vielen bunten Gadgets vorstellen werden wir vieleicht genau das bekommen … natürlich eine Verballhornung des in 2.0 mitschwingenden ‚wir haben alles neuer und besser gemacht‘ Prinzips.
Nur weil DAS Tool nicht seit Version 0.1 auf Freshmeat lief oder weil nur bestimmte Menschen bisher überhaupt Nutzen darin sehen es zu benutzen heisst dies ja nicht, das es damit gestorben ist.
Das mit der humanen Taktung ist, zum Glück für alle Verfechter der beschleunigten Beschleunigung, variabel. Natürlich ist das gesuchte Tool (oder Toolset) theoretisch von einem 17 jährigen zu programmieren. Genau wie heute fast jeder Webseitenprogrammierer die Grundsoftware für Ebay schreiben kann. Aber kein 17 jähriger hatte vor der Erfindung von Ebay das Verlangen danach, keiner hat das Potenzial erkannt und keiner hat es gemacht. Und es gibt Gründe dafür, das dies nicht passiert ist.
Genau wie es an der Idee von OpenSource liegt, das sich nur eine sehr überschaubare Anzahl Finanzverwaltungs, Buchhaltungs- und Warenwirtschaftsprogramme gibt. Einfach weil das eine das andere ablehnt, für uninteressant hält oder kein Bedürfniss danach hat.
Kurz: Ein Tool das um des Tools willen entsteht ist so nutzlos wie der Job des Telefondesinfizierers es muss ein Bedarf da sein dann finden sich die Programmierer fast wie von selbst.
Einen winzigen aber für mich entscheidenden Unterschied zwischen Geld und Aufmerksamkeit muss ich noch loswerden:
Geld fliesst da hin wo noch mehr Geld vermutet wird oder wo es bereits ist.
Aufmerksamkeit fliesst dorthin wo bisher möglichst wenig andere Aufmerksamkeit war (Neuheit) und wendet sich selten dem bereits Bekannten zu.
Falls irgendwann einmal die Menschheit zurückblickt in ihre Geschichte und sich müht, den Punkt auf dem Zeitstrahl zu finden, an welchem ALLES anfing, an dem der Startpunkt war für diese eine Lawine, die alles plötzlich veränderte … dann werden sie wohl in der Tat ganz ernüchtert feststellen, daß der Anfang nicht in einem international operierenden Konzern stattfand, sondern in einer kleinen und unscheinbaren Software-Bude oder einer Garage oder einem Kinderzimmer.
Das ist ein ganz faszinierender Punkt, daß die wirklich brisanten Dinge einen überwiegend unscheinbaren Beginn haben und zunächst unterschätzt werden und keine Beachtung finden. Sind sie dann ganz groß, wundern sich alle!
Das ist auch ein beliebtes Sujet in Literatur, Film, Kino … Zum Beispiel „Brave new world“. Während Orwell in „1984“ von einem Untergang der Gesellschaft durch Haß und Gewalt erzählt, ist es bei Huxley eine Schreckensvision der Tyrannei des Überflusses. Eine Negative Utopie, in der „Stabilität, Frieden und Freiheit“ durch Konditionierung des Einzelnen, das Fehlen von tieferen Gefühlen und die Beschränkung von Religion und Kultur gewährleistet werden soll; und zwar mittels physischer Manipulationen des Fötus, anschließender Konditionierung auf eine festgelegte Rolle in der Gesellschaft, permanente Beschäftigung mit Sex, Konsum und der nebenwirkungsfreien Droge „Soma“. Die Menschen verlieren das Bedürfnis nach kritischem Denken und Hinterfragen der Weltordnung. Eine reibungslose Regierung der Welt wird für eine Handvoll Kontrolleure möglich. Super Sache! Hat viele Parallelen zu Platons „Politeia“.
Auch im Roman wird nur dunkel berichtet von einer Welt, die früher so schlimm war. Und die wenigen Dissidenten können sich kaum erinnern, wie es eigentlich so weit kommen konnte, weil ihre Gehirne schon ganz venebelt sind, weil die Geschichtsschreibung manipuliert ist, weil es verdammt lang her ist und weil der Anfang ganz unscheinbar war: Henry Ford hat das Modell „T“ entworfen und in einer ARt Putsch die Herrschaft an sich gerissen und den „Fordismus“ ausgerufen, oder so ähnlich …
Mir ist noch etwas anderes aufgefallen, das mir zu denken gibt. Oft ist das wirklich Bahnbrechend Neue ein Auslöser für eine Kette von Ereignissen in vielen anderen Disziplinen und Theorien. Erst passiert lange nichts, aber dann passiert alles scheinbar gleichzeitig. Eine Ereigniskaskade die einem wie ein Entwicklungssprung vorkommen kann, aber genausogut als das gesammelte Potential der ‚Wartezeit‘ verstanden werden kann.
Wie wenn man Wasser sehr langsam und vorsichtig auf Minusgerade herunterkühlt. Sobald sich dann bei z.B. -4 Grad durch eine winzige Erschütterung der allererste Eiskristall bildet löst dies das Schockgefrieren des ganzen Wassers aus. Das Wasser hatte schon die ganze Zeit die Möglichkeit zur Kristallbildung, aber es hat einfach vorher kein Molekül damit angefangen sich kristallförmig auszurichten. Wenn man diese physikalischen Phasenübergänge auf eine Gemeinschaft anwendet, wie man es bei der Planung von Fluchtwegen auch macht: aufgerüttelte Menschenmassen verhalten sich in Ihrer Bewegung so intelligent wie verströhmendes Gas, dann halte ich einen solchen Phasenübergang auch für diese möglich. Vieleicht sind wir Menschen schon in dem Zustand in dem wir uns eigentlich schon völlig anders verhalten müssten aber wir haben noch keine Struktur bilden können.
So oder so nimmt aber die Warscheinlichkeit zu, das irgendjemand anfängt diese Struktur zu sein/leben und die Masse (die das Bedürfniss schon lange hat) inspiriert ist es Ihm nachzutun.
Ah! Der Kristallisationspunkt als Metapher des technologischen Fortschritts ist natürlich großartig! Würde auch meiner „Langeweile“ eine analoge Heimat bieten 😉 Wenn sich strukturell nichts Neues tut, alles nur eine Fortführung der geistigen Temperatur – um teilhard´sche Terminologie ins Spiel zu bringen – ist, dann wäre „Langeweile“ eine Reaktion auf die nervöse Erwartung des nächsten, qualitativen Kristallisationspunktes im Pool der Ideen. Wobei jeder Kristall natürlich zwischen die realen Pole der ebenfalls möglichen, denkbaren Dys- und Utopien fällt und dazwischen zerrieben oder bis zur Unkenntlichkeit verändert werden kann. Tja, mal wieder Platon oder Hegel lesen…
Ich habe das mal gesehen: Ein Glasgefäß mit unterkühltem, aber 100% reinstem Wasser. Weil das Wasser sooo rein ist, existiert in ihm nicht ein einziger Partikel, der als 1. Kristallisationspunkt dienen kann. Dann kommt der Experimentator mit einem Sandkorn und läßt es hineinfallen. Augenblicklich ist der gesamte Inhalt des Gefäßes gefroren. In einer extremen Zeitlupe kann man das Sandkorn hineinfallen sehen und nimmt wahr, wie es – noch nicht mal auf halber Höhe – Ausgangspunkt des sich exzentrisch ausbreitenden Frierens wird. Toll!!!
Ich überlege schon die ganze Zeit, welche historischen Beispiele man anführen könnte für derlei Vorgänge auf einer gesellschaftlichen Ebene?
Vielleicht diese „Einer hat es – alle haben es – ich muß es auch haben“-Konsumwellen?
Oder was sonst? Konsum ist so banal als Beispiel?
Wahrscheinlich hängt die Sichtbarkeit eines „Kristallisationspunktes“ von der Zeitskalierung ab. Und schliesslich landet man wieder bei S-Kurven. Was mich daran erinnert, das ich schon lange mal über den Begriff der „Eskalation“ bei de Solla Price schreiben wollte…
Ein untechnologisches Beispiel das mir einfiele, wäre der Zusammenbruch der UDSSR…
Ich habe beim Versuch mir soziologische Beispiele einfallen zu lassen auch gemerkt wie schwierig das ist. Menschengruppen kristallieren wohl nicht so anschaulich und komplett wie Wasser.
Ich habe über das Wort ‚geil‘ nachgedacht. Dieses Wort gab es ja vor der neuzeitlichen Bedeutung schon in der Biologie als Ausdruck einer überreiften Blüte. Dadurch das jemand es anders benutzt hat erhielt es sehr breiten Einzug in den jugendlichen Sprachgebrauch bis hin zur Werbung. Wer genau derjenige war, der dieses Wort neu definiert hat ist mir nicht bekannt, aber ich erinnere mich, das auf einmal fast alles ‚geil‘ war was irgendwie positiv aussah.
Ich glaube das es sehr schwierig ist bei komplexeren Ideen als einem einzelnen Wort den Kristalisationspunkt festzustellen. Selbst der Rückfall in die Barberei des Nazionalsozialismus ist für mich nicht ganz als ein Kristallisationsprozess verständlich. Obwohl es eine Ideologie ist, die auf den fruchtbaren Boden der Verzweiflung gefallen ist und sich darin entfaltet hat.
Warscheinlich ist der Untergang des römischen Imperiums ein besseres Bild, wenn wir mehr darüber wüssten. Ich meine, das eine große Schwierigkeit darin besteht die Geschichtsschreibung in den Momenten des ‚Phasenübergangs‘ zu führen ohne vom ‚Der Sieger schreibt die Geschichte‘-Syndrom befallen zu werden.
Wie würde das Wassermolekül denn darüber berichten was Ihm in dem unterkühlten Wasser wiederfahren ist? Warscheinlich würde es viel Zeit in die Beschreibung der neuen Struktur stecken und sich mit Verwunderung darüber äußern warum es nicht ‚viel früher‘ dazu gekommen ist das man sich so hochsinnvoll strukturiert hat. Dabei würde es dann aufzälen, wie lange und wo Ihm schon das Bedürfnis nach dieser Struktur aufgefallen ist und würde damit den echten Kristalisationspunkt/Auslöser verwischen.
Das Bild von dem Sandkorn, also dem ‚Fremdkörper‘, der nötig ist um gerade soviel Chaos auszulösen, das die neue Struktur möglich wird hat mir sehr gefallen. Das das Sandkorn zufällig auch kristallin ist halte ich für nebensächlich. Bei der ‚festen Form‘ wurde ich unsicher, ob es nicht auch funktionieren würde, wenn man eine kleine Luftblase vom Boden des unterkühlten Wassers aufsteigen lassen würde. Ich meine mich aber Erinnern zu können, das es bei dem Experiment nur auf die Bewegung des Wassers ankommt um die Kristallisation auszulösen.